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Thema: Züchtet der Mensch Krankheiten? Do Sep 24, 2009 5:04 pm
Vogelgrippe, Schweinegrippe, Lungenkrankheit Sars: Die Natur rächt sich mit Krankheiten dafür, dass der Mensch die Nutzung von Tieren übertreibt – könnte man deuten. Eine Expertin nimmt Stellung.
«Bund»:Treten vermehrt neue Krankheitserreger auf? Viehzucht-Spezialistin Manon Schuppers: In den letzten 20 Jahren scheinen sehr viele neue Krankheiten aufgetaucht zu sein. Aber man müsste unterscheiden können, ob sie wirklich neu sind oder ob nur zum ersten Mal darüber berichtet wurde.
Soweit es eine Beschleunigung gibt: Wie stark hängt sie mit der intensiveren Tierhaltung zusammen? Die Studie, die für die letzten 40 Jahre weltweit 335 neu festgestellte Krankheiten ermittelt hat, zeigt eine starke Konzentration in Nordwesteuropa und Nordamerika. Für mich ist der Hauptgrund, dass es hier gute Überwachungssysteme gibt. Tiere und Menschen werden untersucht – und wenn man sucht, dann findet man etwas. Aber auch wenn man diesen Effekt berücksichtigt, glaube ich, dass es tatsächlich eine Zunahme gegeben hat.
Auch im Zusammenhang mit der Tierproduktion? Es kommt auf die Art der Krankheitserreger an. Dass es mehr gegen Antibiotika resistente Keime gibt, hängt für mich sicher mit der intensiveren Haltung zusammen. Denn wo viele Tiere eng beieinander gehalten werden und hohe Leistungen erbringen müssen, werden mehr Medikamente eingesetzt. In anderen Fällen, wie jetzt bei der Vogelgrippe, geht es weniger um intensive Tierhaltung als um schlechte Hygiene, wenn viele Menschen und Tiere auf engem Raum beisammen leben.
Anderseits ist bei der Intensivhaltung die Hygiene besser; wie wirkt sie sich unter dem Strich aufs Krankheitsrisiko aus? Es kommt aufs Thema an. Die klassische Schweinepest etwa gibt es in Nordwesteuropa nicht mehr, sicher auch dank dem hohen Stand der Hygiene in der Tierhaltung. Andere Gesundheitsprobleme aber treten vermehrt auf, weil so viele Tiere auf so engem Raum gehalten werden. Und beim Tierwohl gibt es in der Intensivhaltung noch ganz andere Probleme – ich kann nicht sagen, ob die Tiere dabei glücklich sind. Aber auch nicht, ob alles bei nicht intensiver Produktion besser ist. Wenn ich gewisse Haltungssysteme in Entwicklungsländern sehe, dann bezweifle ich, ob das fürs Tierwohl so viel besser ist.
Vielleicht solange die Tiere bei solcher Haltung gesund bleiben. Sie haben Bewegung und sind nicht im Stall angebunden. Aber es kommt vor, dass Kühe auf Müllhaufen stehen und Plastik- oder Glassplitter fressen. Ich weiss nicht, ob sie das glücklich und gesund macht.
Und es gibt dabei engen Kontakt zwischen Menschen und möglicherweise kranken Tieren oder zwischen Nutztieren und Wildtieren. Hat man Erkenntnisse, ob dies das Auftreten neuer Krankheiten begünstigt? Es gibt sicher mehr Gelegenheiten dazu, jedenfalls bei bestimmten Erregern wie dem Grippevirus. Die sogenannte Schweinegrippe scheint beim Menschen im Allgemeinen weniger schwer zu verlaufen als die saisonale Grippe, aber die grosse Angst betrifft das Pendeln des Virus zwischen verschiedenen Spezies. Die Viren können in Schweinen oder Vögeln auf andere Viren treffen und sich neu kombinieren. Dabei kann ein neues, aggressiveres Virus entstehen.
Die steigende Fleischproduktion trägt zum Risiko bei, und die Zuwachsraten sind in Entwicklungs- und Schwellenländern am grössten – aber der Konsum ist immer noch in den Industrieländern am höchsten, da können wir schlecht von den andern Zurückhaltung verlangen. Genau; das ist eine schwierige Diskussion. Sie wollen den gleichen Weg gehen wie wir. Mit steigendem Einkommen steigt auch der Konsum von tierischen Proteinen.
Und für unseren Konsum importieren wir aus Entwicklungsländern immer mehr Futtermittel, aber auch Fleisch und Fisch aus Intensivhaltung dort. Die Nachfrage bei uns fördert sicher die intensive Tierhaltung in anderen Ländern. Die Importeure hier wollen bei möglichst wenigen Lieferanten kaufen, nicht bei vielen kleinen. Manchmal ist die Produktion dann schon sehr intensiv, aber noch nicht mit dem nötigen Hygienestandard.
Verhindert der Preisdruck, dass die Hygiene verbessert wird? Die Importeure müssen schon auch auf die Qualität schauen. Wenn jede zweite Lieferung Crevetten auf irgendetwas positiv getestet wird, ist das auch nicht gut für sie. Aber sie verlagern das Risiko auf die Verarbeitungsfabrik, bei der sie kaufen, und die gibt es an die Produzenten weiter: Gibts Beanstandungen, dann zahlt man nicht.
Ist es bei komplexen Produktionsketten überhaupt möglich, das Risiko in den Griff zu bekommen? Das ist eine ganz grosse Herausforderung. Weil die Produktionsketten so komplex sind, reicht es nicht, die Produkte nur bei der Verarbeitung zu kontrollieren und eben wegzuwerfen, was schlecht ist. Es kann irgendwo etwas schiefgehen, darum muss man der ganzen Kette entlang Massnahmen umsetzen und kontrollieren. Nur wenn alle Schritte in Ordnung sind, hat man die Gewissheit, dass das Produkt gut ist.
Gibt es auch die Gefahr einer Überreaktion, wenn irgendwo ein Problem auftaucht – dass man die Bauern eines Landes ruiniert oder den Tourismus, obwohl die Gefahr gar nicht so gross wäre? Es gibt Beispiele möglicher Überreaktionen. So ist in Kanada der ganze Rindfleischexport zusammengebrochen, nachdem der erste Fall von BSE (Rinderwahnsinn) bei einer Kuh festgestellt wurde. Auch bei der Schweinegrippe haben manche Länder den Schweinefleischimport gestoppt, obwohl die WHO und die OIE (Gesundheitsorganisationen für Menschen und Tiere; die Red.) von Anfang an sagten, das Fleisch könne normal importiert werden. Die Verbote bewirkten grossen wirtschaftlichen Schaden und waren ungerecht. Da bleiben wieder Entwicklungsländer auf der Strecke.
Wäre biologische Landwirtschaft eine Abhilfe für die Risiken? Ich bin mir nicht sicher, ob biologische Landwirtschaft einfach so gesünder ist. Man kann damit gewisse Probleme vielleicht lösen, aber dafür kriegt man neue. Zum Beispiel ist da vorgeschrieben, dass die Tiere Auslauf haben müssen. Dann riskieren sie Ansteckungen durch Wildtiere, etwa Vögel oder Füchse. Ein Nullrisiko gibt es nicht.
Kann auch die Bekämpfung einer Krankheit – mit Impfungen oder Antibiotika – mit der biologischen Tierhaltung in Konflikt geraten? Ja. Es gab in den Neunzigerjahren in Europa eine Politik gegen Impfungen, etwa bei Maul- und Klauenseuche sowie Schweinepest, da Impfungen angeblich eine ungesunde Produktion bewirkten. Jetzt kommt man allmählich darauf zurück, weil man sich sagt, das Auftreten einer Krankheit könne Milliarden kosten. Nun muss man den Konsumenten sagen, die Tiere sind zwar geimpft, aber die Produkte von diesen Tieren sind trotzdem gleichwertig gut.
Was raten Sie den Konsumenten? Sollen sie allgemein weniger Fleisch essen, und nur noch vom Bauern, den sie kennen, oder auf bestimmte Labels achten? Wichtig ist ein bewusster Umgang mit dem Produkt Fleisch: Es wächst nicht im Supermarkt, es kommt von einem Tier, das irgendwo gelebt hat. Die Schweiz ist im Vergleich zu anderen europäischen Ländern in einer günstigen Situation, weil noch viele Produkte hier produziert und konsumiert werden. Es wird ja wenig Schweine- und Rindfleisch importiert. Aber das Futter ist oft importiert, die Produktion ist also nicht nur einheimisch. Hinter dem Fleischkonsum stecken Tiere, steckt weltweite Produktion. Wenn wir immer mehr essen, dann muss irgendwo mehr produziert werden. Wie gesagt, es gibt kein Nullrisiko. Man muss in der Küche eine gute Hygiene beachten, um für sich das Risiko klein zu halten.
Was ist beim Einkauf zu beachten? Ob man Bio- oder anderes Fleisch isst, einheimisches oder eingeführtes, ist weniger eine Frage des Gesundheitsrisikos. Da gibt es andere Überlegungen, zum Beispiel wegen der Energie: Ist es sinnvoll, Schweinefleisch irgendwo zu produzieren und dann einzufliegen? Was nur die Tiergesundheit betrifft, haben wir in Europa eine gute Situation, mit effizienten Veterinärdiensten und umfassender Überwachung, damit wir von gesunden Tieren gesunde Lebensmittel bekommen. (Der Bund)
Übertragungen nehmen zu
Von 1940 bis 2004 sind weltweit 335 Krankheitserreger, die den Menschen befallen können, neu festgestellt worden, Tendenz steigend. Diese Zahl, letztes Jahr in der Fachzeitschrift «Nature» genannt, umfasst Viren, Bakterien und Pilze. 60 Prozent dieser Keime können sowohl Menschen als auch Tiere krankmachen, und auch bei fast allen anderen liess sich ein tierischer Ursprung ermitteln. Vorwiegend waren Wildtiere die Quelle, und die Keime fanden direkt oder indirekt – etwa via Nutztiere – den Weg zum Menschen; in den andern Fällen hatten die Keime mutiert, sei es im Menschen oder im Nutztier.
Von diesen Zahlen ging kürzlich in einem Vortrag am Institut für Welthandel (WTI, Universität Bern) die Epidemiologin Manon Schuppers aus. Die Niederländerin arbeitet in Bern bei der Beratungsfirma Safoso (Safe Food Solutions), die sich unter anderem damit beschäftigt, Ansteckungen in der Tierhaltung vorzubeugen. Denn der Verdacht, veränderte Haltungsmethoden könnten Ansteckungen der Tiere untereinander oder auch beim Menschen begünstigen, liegt auf der Hand (vgl. Interview oben).
Problematischer Fortschritt
Wer allerdings vermutet, neue Krankheiten kämen als schier gar biblische Plagen über uns, weil wir der Kreatur Tier mit industrieller Massenhaltung Gewalt antun, der ist bestenfalls der halben Wahrheit auf der Spur: In den Industrieländern, wo die Tierfabriken entstanden, sorgte wissenschaftliche Begleitung sowohl für die Entdeckung neuer Krankheiten als auch für deren Prävention. Problematischer scheint es zu sein, dass industrielle Tierproduktion nun auch in Weltgegenden angesiedelt wird, in denen die allgemeine Hygiene zu wünschen übrig lässt.
Neben dem Fleischhunger der reichen Länder wirkt hier zunehmend auch der «Nachholbedarf» von Entwicklungs- und Schwellenländern, in denen sich zumindest ein Teil der Leute mehr Fleisch leisten können: Der Konsum wächst oft noch schneller als die Bevölkerung. Und besonders schnell wächst der internationale Fleischhandel, durchschnittlich seit 1960 um 6 bis 10 Prozent pro Jahr je nach Tierart, wie Schuppers ausführte.
Sowohl der Handel als auch der Reiseverkehr können die Verbreitung von Krankheiten begünstigen. Bei deren Entstehung spielt neben oder noch vor der Massenhaltung das enge Nebeneinander eine Rolle, in dem Mensch und Tier in weiten Teilen der Dritten Welt leben. Anders wäre in den rasch wachsenden städtischen Gebieten die begehrte Versorgung mit tierischen Nahrungsmitteln gar nicht zu bewerkstelligen. Aber soweit es überhaupt Hygienevorschriften gibt, werden sie kaum durchgesetzt.
Etwas besser sieht es bei der Tierproduktion für den internationalen Handel aus: In der Welthandelsorganisation (WTO) gibt es ein Abkommen über sanitarische Kontrollen (SPS), um den Schutz vor eingeschleppten Krankheiten zu ermöglichen, ohne den Handel über Gebühr zu behindern. Oft ist aber die Durchsetzung solcher Standards mangelhaft. Als Beispiel führte Schuppers die Crevettenproduktion in einem (ungenannten) Land an, das ihre Firma untersucht hatte: Die exportierten Crevetten dürften keine Rückstände des Antibiotikums Chloramphenicol enthalten; bei einzelnen Sendungen gab es aber welche. Um das zu vermeiden, müssten alle Stufen der komplizierten Produktionskette besser überwacht werden als bisher.
Neue Risiken birgt schliesslich der Klimawandel: So wächst in Europa das Gebiet, wo die Asiatische Tigermücke gedeihen kann, eine Überträgerin von Tropenkrankheiten wie Dengue-Fieber.